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5 Dinge, die du über Gentrifizierung wissen solltest

Von Katharina Kutsche , 25.09.2018

Alle Menschen schimpfen über Mietwahnsinn und Gentrifizierung. Aber was heißt das eigentlich? 5 Fakten, um das moderne Stadtleben zu verstehen.

 

1. Gentrifizierung gab es schon im alten Rom

Vor gut 2.000 Jahren war Rom „the place to be“. Historiker gehen davon aus, dass damals mehr als eine Millionen Menschen in der Metropole am Tiber wohnten, zum Teil in Mietskasernen, Insulae genannt. Zuzügler trieben die Mietpreise hoch und lockten Investoren – erst im Jahr 1964 prägte die britische Soziologin für diesen Prozess den Begriff „Gentrifizierung“. Der Historiker Strabon berichtete über Vermieter, die ihre Mietshäuser verfallen ließen und Einstürze in Kauf nahmen, weil sie auf dem Grundstück Luxuswohnungen bauen wollten. Das kommt einem doch richtig bekannt vor.

2. Kreuzberg ist der absolute Gentrifizierungsbrennpunkt

Im Berliner Stadtteil Kreuzberg war das Wohnen im sanierten Altbau um 1990 noch günstig: knapp drei Euro pro Quadratmeter, billiger als im Berliner Durchschnitt. 2013 kosten der Kreuzberger Quadratmeter 5,65 Euro – eine Steigerung von knapp 90 Prozent. 2018 sind es bis zu 14 Euro. Neben dem Mietpreis sind Faktoren wie Altersstruktur, die durchschnittliche Wohndauer und die Binnenmobilität im Stadtteil wichtige Gentrifizierungssignale. Nach Kreuzberg zogen in 70 Prozent mehr Menschen als in andere Berliner Stadtteile. Gleichzeitig verließen 30 Prozent mehr Menschen den Kiez. Die Berliner Gentrifizierungsgebiete befinden sich fast alle innerhalb des S-Bahn-Rings.

3. Gentrifizierung führt zu „Ghetto“-Bildung

In vielen Städten gibt es seit jeher sogenannte Studentenviertel oder. Solche Ballungen sind kein Problem, wenn die Bewohner freiwillig dort wohnen. Die Gentrifizierung großer Innenstadtteile führt jedoch zu Segregation: Die Ungleichheit unserer Gesellschaft wird räumlich abgebildet. Der Berliner Soziologe Andrej Holm mit Gentrifizierung dann auch konkret „die Verdrängung ärmerer Haushalte aus den Stadtvierteln durch immobilienwirtschaftliche oder politische Aufwertungsprogramme“. Verlierer sind die vier großen „A’s“, sagt die Stadtforscherin Ilse Helbrecht: „Arme, Ausländer, Arbeitslose, Alte“. Das Berliner Wissenschaftszentrum für Sozialforschung hat den Prozess in einer Studie in 74 deutschen Städten untersucht. Die Forscher fanden heraus, dass Hartz IV-Empfänger sich zunehmend in bestimmten Stadtteilen ballen. In 36 Städten, Rostock und Erfurt etwa, gibt es Quartiere, in den denen mehr als 50 Prozent aller Kinder Sozialleistungen empfangen. Das ist vor allem schlimm für die Kinder:  Sie haben selten ein eigenes Kinderzimmer, können sich Sport im Verein oder andere Aktivitäten nicht leisten, essen weniger gesund und laden seltener Freunde zu sich ein. Anders gesagt: Sie sind isoliert.

4. Die Latte Macchiato-Mutter sind nicht unschuldig (und du?)

Die Mamis sitzen in Cafés in Berlin-Prenzlauer Berg und blockieren mit ihren Kinderwagen die Bürgersteige. In den vergangenen Jahren sind die sogenannten Latte Macchiato-Mütter zum Symbol der Gentrifizierung geworden. Zu Unrecht? Na ja. Einerseits hat der Soziologe Andrej Holm mal vorgerechnet, dass der Anteil der Milchkaffee-Muttis in Prenzlauer Berg gerade mal bei vier Prozent liegen kann. „Da gibt es mehr Hartz-IV-Empfänger/innen (6 Prozent) und Ausländer/innen (12 Prozent)“, schreibt Holm. Er sagt andererseits aber auch: „Individuelle Lebensstilentscheidungen entfalten ein hohes Maß an Raumwirksamkeit.“ Einzelhandel und Gastronomie reagieren sehr wohl auf eine veränderte Bewohnerschaft, passen sich und ihre Preise an. Die neuen Geschäfte werden selbst zu Verdrängern von angestammten Läden. Da sie höhere Preise nehmen, zwingen sie Menschen mit geringeren Einkommen, weitere Wege zum Discounter zu fahren.

5. Die Städte sind oft selbst schuld an der Misere

Der Harvard-Professor Maximilian Kasy schreibt in einem Essay, die Städte können viel gegen Gentrifizierung tun – etwa mehr bauen. Oft haben nämlich die Städte selbst die Verdrängung verschuldet, als sie in Zeiten knapper Haushaltskassen den eigenen Wohnungs- und Häuserbestand verkauft haben.  Im Jahr 1991 haben sich öffentliche Bauherren noch den Neubau von 5.923 Wohnungen in Deutschland genehmigen lassen. In Zeiten der Immobilienkrise um 2007 sank das auf Tiefstwerte (832 Wohnungen). Seitdem steigen die Zahlen wieder, 2016 auf einen Höchststand von 19.170.