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Viele Menschen, wenige Wohnungen

Von Felicitas Wilke, 25.09.2018

Der Immobilienexperte Michael Voigtländer erklärt, warum Flüchtlinge nicht primär an steigendem Mietpreisen schuld sind – und warum Baupolitik angewandte Integration ist.

Herr Voigtländer, viele Menschen klagen, dass Flüchtlinge „uns“ die Wohnungen wegnehmen. Stimmt das?
Die angespannte Situation auf dem Wohnungsmarkt wird durch die Flüchtlinge sicherlich weiter verschärft. Aber man muss auch klar sagen, dass Migration nicht der wesentliche Grund für die steigenden Mieten ist.

Sondern?
Die Wohnungen in den Städten sind knapp und die Mieten hoch, weil viele Menschen in die Metropolen ziehen: deutsche Haushalte aus ländlichen, strukturschwachen Regionen, junge Menschen, die zum Studieren nach Berlin oder Hamburg gehen und Arbeitskräfte aus dem Ausland, die dort einen Job haben.

Und Menschen, die als Flüchtlinge nach Deutschland kommen.
Ja, diese werden über das ganze Land verteilt. Sie dürfen nur in die Großstädte ziehen, wenn sie einen Job haben und nicht von Grundsicherung abhängig sind.

In welchen Regionen Deutschlands leben die meisten Flüchtlinge?
Stadtstaaten wie Hamburg und Berlin haben die größten Probleme. Denn der Königsteiner Schlüssel, nach dem die Flüchtlinge verteilt werden, berücksichtigt Steuereinnahmen und Bevölkerungszahl der Bundesländer, nicht aber die Einwohnerdichte und die Wohnungsmarktsituation. Das heißt konkret: Hamburg und Berlin haben ohnehin einen angespannten Wohnungsmarkt, müssen aber im Verhältnis zu ihrer Einwohnerzahl auch viele Flüchtlinge aufnehmen.

Haben Sie genaue Zahlen?
Im Zeitraum zwischen Januar und Mai 2018 wurden etwa 2.100 Erst- und Folgeanträge auf Hamburg und 4.300 auf Berlin verteilt. In ganz Sachsen waren es 3.700 Anträge, in Bayern knapp 11.200.

Auch in München ist die Wohnungsmarktsituation extrem angespannt.
Absolut. Aber in einem Flächenstaat wie Bayern kann man die Flüchtlingsverteilung so organisieren, dass die Menschen nicht alle in München leben, sondern auch in eher ländlichen Regionen, wo der Wohnraum nicht so knapp ist. Diese Steuerungsinstrumente hat ein Stadtstaat nicht.

Lässt sich denn sagen, wie viele der Menschen, die seit 2015 nach Deutschland kamen, bereits in eigenen Wohnungen leben?
Nein. Das liegt daran, dass die Unterbringung in den Kommunen sehr unterschiedlich gehandhabt wird. Es gibt die Massenunterkünfte, es gibt teilweise kleinere Unterkünfte und auch Modelle, bei denen Neuankömmlinge von Anfang in Wohnungen unterkommen.

Haben Flüchtlinge auf dem angespannten Markt überhaupt eine Chance, eine Wohnung zu finden?
Solange sie nicht anerkannt sind, haben sie kaum eine Chance. Doch auch als anerkannte Flüchtlinge tun sie sich definitiv schwerer als andere, eine Wohnung zu finden. Gerade weil der Wohnraum so knapp ist, stellen wir vermehrt fest, dass mehrere Flüchtlingsfamilien gemeinsam in einer Wohnung leben. Das kann die Integration erschweren – denn bei Menschen, die beengt leben, wächst oft Frust.

Baupolitik ist also Integrationspolitik?
Ja, wir tun uns als Gesellschaft einen Gefallen, wenn wir diesen Menschen vernünftigen Wohnraum zur Verfügung stellen. Wenn möglich, sollten auch nicht alle Syrer oder alle Afghanen an einem Ort leben.

Was schlagen Sie vor?
Eine Möglichkeit ist das Instrument der Belegungsrechte. Dabei erkauft sich die Stadt von privaten Vermietern das Recht, den Mieter für eine bestimmte Wohnung auszusuchen.

Gibt es weitere Ideen?
Die Optimierung der Untervermietung. Es gibt viele Rentner, die in sehr großem Wohneigentum leben und den Raum kaum nutzen. Würde der Staat die Menschen dabei unterstützen, Einliegerwohnungen zu schaffen, würden allen Seiten profitieren: die Rentner erhalten einen Zusatzverdienst, Flüchtlinge, Studenten oder jungen Erwachsene, die verzweifelt eine Wohnung suchen, wird geholfen, und Mietmarkt entlastet. Insgesamt müssen wir aber einfach mehr bauen – und auch über Baustandards nachdenken.

Inwiefern?
Wir brauchen Wohnungen, die für mindestens 15 Jahren einen angemessenen Komfort bieten und dann wieder abgerissen werden können. In Holzbauweise könnte man schnell günstigen Wohnraum schaffen – nicht nur für Flüchtlinge, sondern für alle Menschen, die jetzt auf erschwingliche Wohnungen angewiesen sind. Einfache Neubauten haben in den Niederlanden geholfen, den akuten Mangel zu überwinden. Kurzfristige Lösungen sind besser als keine Lösungen.

Prof. Dr. Michael Michael Voigtländer ist Immobilienexperte am Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln und lehrt Volkswirtschaft an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg.

Der Immobilienexperte Michael Voigtländer arbeitet für das Institut der Deutschen Wirtschaft